Die Flut
Ein Ersatz-Requiem
Eine Recherche in drei Teilen


I. Schockwelle, Das Wasser tropft in den Alltag, Mitleiden am Fernseher Diese Flut betrifft die Bastionen des westlichen Menschen, schreibt die SZ kurz nach der Flutwelle in Südost-Asien: Urlaub und Weihnachten. Die wenigsten Menschen in Deutschland sind persönlich betroffen, doch kaum einer kann sich von ihr distanzieren. Die Flut stellt eine emotionale Überforderung dar, sie ist kein Terroranschlag, sie ist keine Folge der Klimaerwärmung, sie ist einfach nur die von Zeit zu Zeit wiederkehrende Gewalt der Natur. Religiös ließe sie sich vielleicht noch als Sinnflut verstehen in einer von Massentourismus und dadurch auch von Prostitution und Vergnügung geprägten Region. Doch ohne eine religiöse Verankerung, wie lässt sich diese Gewalt verarbeiten. Es kommt zu einem Leidens Voyorismus, zu einem unbedigten Bedürfins dazu zu gehören zu diesem Kollektiv der Mitleidenden, das Trauma der Fernsehbilder wird zur Leidenserfahrung, Spenden zum Mitgliedsbeitrag. Vielleicht ein Religionsersatz. Aus der Flut wird eine Flut der Bilder, eine emotionale Flut. Für die Betroffenen ist es ebenfalls etwas Entferntes, Tote die nicht mehr wiederkehren, die unauffindbar bleiben, Missing People, Menschen, die nicht wissen, ob der Tote, den sie begraben haben, wirklich ihr Sohn, Vater, Bruder, Mann ist. Der Sohn eines Vermisssten, der sich über seinen ganzen Rücken seinen Nachnamen tätowieren lässt um selbst nie verloren zu gehen. Missing people. Es sind kleine manchmal unscheinbare Geschichten, von kleinen Veränderungen des Alltags, die Suche nach etwas, dass sich nicht begreifen lässt und eine Leerstelle hinterlässt. Eine Leerstelle an einem der größten Tabus unserer Gesellschaft, dem Tod.

II.Das Wasser ist da, Überlebenskampf Plötzlich ist es nicht mehr weit weg, New Orleans 2005, sondern ganz nah, es gilt zu schwimmen, Menschn auf sich gestellt, alleingelassen, sie kamen nicht mehr rechtzeitig weg, weil sie kein Auto hatten, sie stehen im Chor und rufen die Fernsehgemeinde an, HELP, HELP, sie schießen, sie sterben, sie vegetieren, Zivilisation am Abgrund. Geschichten des Kampfes, der Verzweiflung, die Nähe der Todes bei Menschen die sich so weit weg von ihm glaubten, ein Menschenleben plötzlich kaum mehr etwas wert. Was passiert mit unseren Idealen in Extremsituationen? Was ist das für ein Chor von Menschen denen nicht geholfen wird? Wir suchen Situationen und Geschichten in denen aus Nachbarn plötzlich gewalttätige Feinde werden. Wie verändert sich das Verhältnis der Menschen zu Gewalt im Angesicht des Todes? Ist die Nähe zu Gewalt eine Folge von Armut und sozialem Notstand oder von Angst und Hilflosigkeit, egal in welcher sozialen Schicht, in welcher Gesellschaft? Aus der emotionalen Überforderung im Angesicht von etwas Ungreifbaren, wird die direkte menschliche Ausgesetztheit.

III. Gerettet; von der Sehnsucht nach dem Meer, Epilog in der Romantik Eine Übermacht an Gewalt bewirkt Stillstand, Starre bei demjenigen der nichts entgegen zu setzen hat. Der Wunsch sich aufzulösen in dem so großen verschlingenden Wasser. Der Wunsch zu verschwinden in der Masse, in der Anonymität der Stätte ist dem vielleicht ähnlich, ein Übermaß an Leiden führt zu einer Krankheit: Melancholie. Wir suchen Material in der Romantik, Texte und Situationen, die von einer Auflösung von Idendität, einem Verschwinden erzählen, sei es in der Erlösung, im Rausch der Musik, sei es im Untergehen im Angesicht der Natur, oder in der Anonymität der Städte. Das Projekt die Flut entsteht in der Fortsetzung der Arbeit eines eingespielten Ensembles. Die Arbeit basiert auf Recherchen, auf dem Sammeln von Texten, Bildern und Musik, aus Gesprächen mit Zeugen, Betroffenen, aus Zeitungsartiklen und Fernsehbildern. Daraus entwickeln die Schauspieler Figuren oder Bewegungen, Sprechchöre, Gesänge.